Und der Herpes labialis blüht …

Freitag, 13 April 2018

Am Freitag, 13. April, soll das Abenteuer „Überführung nach OF“ beginnen.

„Respekt“, sagt der Hafenmeister. Was er damit meint, erfahren wir stante pede ………………. und als brutale Wahrheit erst sehr viel später.

Erste Etappe der Elbe-Havel-Kanal: 56 km plus 2 Aufwärtsschleusen mit einem Hub von 11 m, also ungewisse Verlängerung der ca. 6 Stunden Fahrzeit, da die Berufsschifffahrt absoluten Vorrang hat. Bei der Vorbereitung aufs Schleusen (s. 10 Tipps für gelungene Schleusenmanöver im Segelmagazin Yacht vom 16.8.2017) bemerken wir, dass wir mit dem bauchigen Bootsrumpf Schwierigkeiten bekommen werden, das Boot parallel zur Schleusenwand zu halten. Da wir aber keine Mittelklampe haben, werden wir sowohl Bug- als auch Achterleine am breitesten Punkt des Schiffskörpers um die Relingstange führen, auf Slip um den ersten Poller legen und dann die Leinen an den in der Schleusenwand befindlichen Pollern hinauffieren. Ja nicht festmachen, sonst versenkt man das Boot beim Auf- und „erhängt“ es beim Abwärtsschleusen. In beiden Fällen hilft nur das Beil. An der Schleuse Wusterwitz machen wir zunächst am Sportbootwarteplatz, dem sogenannten Vorhafen fest, weil die Kammer zwei Rotlichter nebeneinander zeigt, melden uns an und warten auf Grün. So vergeht eine gute Stunde. Dann hinein in die Kammer …, und nach 10 Minuten schon wieder hinaus. Puhh!!!!! Absenkung des Blutdrucks. Wir tuckern erleichtert weiter Richtung Genthin, aber erneut gerät das Herzblut in Wallung, denn der „Yachthafen“ von Genthin, wie man auf dem Tablet sehen kann, ist quasi eine ausgehobene Kammer im Kanal, die im Zuge des Kanalbaus für die Städte als Anlegemöglichkeit hergerichtet wurde. Sie ist nur 2 m tief, wir haben 2.20 m Tiefgang, also muss der Schwenkkiel hydraulisch eingezogen werden. Tom pumpt ihn hoch, aber nachdem das Boot an der Mole vertäut ist, stellen wir fest, dass es auf Grund liegt. Ende der Dienstfahrt? Tom pumpt noch einmal, und wir sind wieder frei.

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Am anderen Morgen ein bisschen Öl im Wasser und … erneute Grundberührung! Wieder pumpen, wieder frei, innerhalb von vier Minuten wieder fest.

Einer, der sein Boot ins Wasser lässt, diagnostiziert trocken: „Eure Hydraulik ist am Arsch“.

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Er hilft uns ´raus aus der Parkkammer, und wir beschließen, zurück nach Plaue zu fahren, da zudem der Motor im unteren Drehzahlbereich mit jedem Kilometer mehr Vibration entwickelt, die alles zuschanden schlägt. Vermutete Ursache: defekte Motorlager. Auf der Back-to-the roots-Fahrt steigen Hydraulikölblasen an die Wasseroberfläche, bis kein Öl mehr im Zylinder ist. Vor Plaue wieder schleusen, diesmal abwärts. Plaue an 15 h.

Gemachte Fehler:

In Genthin vertäut man an Pollern, also mit Webeleinstek - wir kennen den Knoten nicht mehr, ohne Konsequenz.

Leine an der Relingstange vorbeigeführt - kann Verbiegungen verursachen. Hat´s aber nicht.

Den ablandigen Wind und die starke Strömung beim Anlegen außer Acht gelassen - fast mit dem Steg kollidiert, glücklicherweise nur langgeschrappt, die Spuren an Steuerbord interpretieren wir als markante Zeichen autodidaktischer Bootsaneignung. Später lernen wir, dass der Motor und die Motoraufhängung verantwortlich sind für das meiste, was bei uns „aus dem Ruder gelaufen ist“.

Gelerntes:

Spring an der Anlegeseite mittig legen, damit das Boot durch den Wellengang der Frachter nicht unkontrolliert herumeiert.

Beide Bordleinen von vornherein beim Festmachen auf Slip legen; dann kommt man vom Steg weg, ohne vom Boot zu müssen.

Begegnungen mit früheren DDR-Bürgern in der Marina:

„Wo macht ihr hin? Nach Rhein-Main? Ihr habt doch gar keen Wasser, und der Rhein ist den Ausländern.“

„Wenn ihr Öl verliert, einfach ein bisschen Fit (das ist das DDR-Spüli) während des Schleusenvorgangs zur Hand haben, sonst kommt leicht die Feuerwehr. Die sind da recht pingelig.“

„Segeln? Ne, wofür gibt´s Motoren.“

„Die Pötte von denen mit den Lackschuhen aus´m Westen, weesde, die wurd´n immer größer. Der da (auf sein Boot zeigend) is meen sechster. Und jedes Mal wurd´er größer.“

in Potsdam:

2 Jackies in einer Bar. Der Barmann fragt: „Was wollt ihr?“ - „Alkohol“. - „Kann man das noch ein wenig spezifizieren?“ - „2 Aperol Sprizz und später noch ´mal 2“.

Beobachtung:

25 Jahre nach dem Mauerfall, der „Friedlichen Revolution“, ist hier alles so, wie es war. Was kaputt ist, ist kaputt und bleibt kaputt. Globales Kapital ist nicht am Werk, sonst gäbe es Schloss Plaue in diesem Zustand nicht mehr. Die STRABAG wurschtelt vor sich hin, Genthin ist eine abgewrackte Industriestadt mit ganz eigenem Charme. Und trotzdem fällt die Mauer in unseren Hirnen mit jedem Tag mehr, denn wir beginnen, die Dekadenz der Umgebung, unseren Liegeplatz in der ersten Reihe an der Havel, die Ruhe abends, das Wellenschaukeln und die pastellenen Töne der Frühsommerflusslandschaft um das Schloss herum (#1, #2) zu lieben.

Weitere 4 - 5 Tage, prognostiziert der Mechaniker am Sonntagabend, werden wir am Startpunkt unseres Überführungstörns nach OF liegen: „Kann auch sein, das Boot muss noch ´mal ´raus, dann müssen wir euch ausquartieren.“ Mit den 850 km, die wir zu fahren haben, wird es also eng, denn Kreta liegt auf Termin. So steht es momentan in den Sternen, wann die „Akina“ heimkehrt.

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